Thursday, December 28, 2006

Englische Weihnachten

War schoen in London. Mit Weihnachten und so. Gab lecker zu essen. Und da die Englaender das ganze um einen Tag verschieben, hat man genau einen Tag laenger Zeit, wie wild durch die Laeden zu stuerzen, um was brauchbares zu finden.

Am Christmas Day haben wir dann nach dem Mittag die Geschenke geoeffnet (das erste gab´s schon zum Frühstück), davor waren wir fuenf Minuten in der Kirche. So lange hat es gedauert, dass wir mitbekamen, dass es keine Lieder gab. Nur so Predigten. Da waren wir aber nicht scharf drauf. Die anderen zwei, ich hab eh nichts verstanden.

Das lustigste passierte an Christmas Eve. Wir fuhren mit dem Boot durch die Gegend, als ploetzlich der Motor streikte. Ich fands spannend, so durch den Kanal zu treiben, aber nach dreissig Minuten war alles wieder in Ordnung.

In den letzten beiden Tagen haben wir viel gegessen, Videos geschaut ("I, Claudius" und "Black Books") und gelesen.

Ich rase nach wie vor wie ein bloeder durch die Gegend und bin bisher von Unfaellen verschont geblieben.

Morgen treffe ich meinen Freund Arturo. Wird das eine Freude.

Weil Kate ein bisschen draengelt, gebe ich den Laptop aus der Hand. Dabei haette ich noch so viel zu sagen. Egal.

Saturday, December 23, 2006

Lang lebe Mr. Livingstone


"(...) When a man is tired of London, he is tired of life; for there is in London all that life can afford."

Dr. Samuel Johnson (1709–1784)



Was der gute nicht wusste: London hat ein Taubenproblem. Das kann man nicht leugnen. Der gute Mr. Ken Livingstone, seines Zeichens Buergermeister der Metropole, wusste schon, warum er das Fuettern der unförmigen Vögel verbot.

Da faellt einem wirklich nur das Liedchen von Georg Kreisler ein, wenn man am Trafalgar Square die hunderte von Tauben zu Gesicht bekommt, die den Touristen das Baguette aus ihren modischen Umhängetaschen zu klauen versuchen.

Livingstone ist nicht unumstritten, hat aber die congestion charge (Staugebuehr) eingefuehrt, woraufhin die Innenstadt wieder freier wurde, und auch seine Neujahrsansprache, in der er die Londoner zum Stromsparen aufruft, klingt in meinen Ohren vernuenftig. Ich werde gleich mal eine Mail an ihn schreiben.

Glueckspilz

Ich bin ein echter Kuenstler.

Gestern brachte ich das Kunststueck fertig, statt der letzten paar Kilometer zur St. Martins-Kirche die gesamte Strecke nach Hause zurueckzuradeln. "Mensch, die Gegend sieht aber Camden Market verdammt aehnlich", dachte ich so bei mir, bis ich merkte: das war Camden.

Um auf Nummer sicher zu gehen, habe ich mich dann einfach an den Bus der Linie 29 drangehangen, weil der direkt zum Trafalgar Square fuhr. Und dann habe ich dieses Konzert in der St. Martins Kirche gesehen, wo ein Junge am Klavier und ein Maedchen an der Marimba (eine Art hoelzernes Xylophon) etwas gespielt haben, das mich an Rolf Zuckowski und seinen mobilen Kindergarten erinnerte, der da lustig "Kinder, die Musik erklingt" intonierte und die kleinen Racker zum Mitsingen inspirierte.

Dabei fing der Tag schon so komisch an: Ich hatte mir den Weg haargenau eingepraegt, ihn im Kopf abgespeichert, so dass ich wusste, wie die Strassen heissen, wo sie ihren Namen aendern, wenn sie welche grosse Hauptstrasse ueberqueren usw. Dummerweise war die erste Strasse, von der ich meine grosse Reise beginnen lassen wollte, eine Einbahnstrasse, sodass all meine Plaene recht schnell zunichte gemacht wurden.

Nach dem Konzert sah ich mir noch die Buchlaeden in der Charing Cross Road an, bevor ich mir am Ende die British Library anzusehen gedachte. Nach einigen Umwegen stand ich also am British Museum, das laut Karte direkt neben der Bibliothek sein sollte. Also fragte ich den Wachmann, wo denn jetzt gleich nochmal die British Library sei. Antwort: King's Cross Ecke St. Pancras. (da, wo ich in London angekommen war). Dann holte ich meine Karte vor und zeigte ihm, dass die beiden doch quasi Nachbarn waren.

Er sah laechelnd auf meine auf meinen zehn Jahre alten Stadtplan und teilte mir mit, dass sie bereits vor sechs Jahren an den neuen Standort umgezogen sei. Da war ich anscheinend nicht der einzige, der sich mit altem Kartenmaterial auf die Reise gemacht hat. Ne Ecke staerker fand ich aber Vaiva aus Litauen, die damals zum Berlinbesuch mit einer Karte angereist ist, die sogar noch die Mauer eingezeichnet hatte. Anyway.

Am Ende des Tages hatte ich ne Menge Spass beim Tempobolzen auf der linken Strassenseite, obwohl ich kein Vorderlicht hatte. Dafuer aber hinten und am linken Oberarm so einen blinkenden Weihnachtskranz.

Und dann bin ich spaetabends noch in den kleinen Laden an unserer Ecke gegangen. Wahnsinn. Viel alternative Musik, eine gut sortierte DVD-Abteilung und eine kleine, aber feine Buecher-Reihe. All die Buecher, die ich ins Auge gefasst hatte, standen hier direkt nebeneinander. Geil.
fopp-the noisemonger. Da sollte man mal hin, wenn man in London ist und gute, reduzierte Ware aus erster Hand sucht.

Thursday, December 21, 2006

Fahrradschiebend in London


Jetzt sitze ich also in der Camden public library und versuche, den ersten Tag zu verarbeiten.

Das tolle an London ist, dass an den Kreuzungen auf den Boden geschrieben ist, wohin man seine Augen lenken soll: look left oder eben look right. Damit es einem nicht ergeht wie Rolf-Dieter Brinkmann.

Nur stelle ich mich etwas bloed an: Zwar habe ich ein Fahrrad ausgeliehen bekommen, aber da ich gerade auf einer dicht befahrenen Strasse unterwegs war, habe ich es die ganze Zeit geschoben. War in der Open University, bei Waterstones (so ein aehnlich schlechter Buchladen wie Thalia), bei Oxfam, wo ich auf einige gute Buecher stiess, und besuchte gleich noch einen Reptilienladen.

In Camden-Market sah ich ein lustiges T-Shirt: Unter dem Kopf von John Cleese ein lustiges "Don't mention the war". Die "Fawlty towers", sie leben hoch!

Ein Polizist half mir etwas auf die Spruenge. Als Fahrradfahrer kann ich mir aussuchen, wo ich fahre, aber direkt neben oder in der Busspur waere es wohl am besten. Er fuehre auch schon fuenf Jahre und es ginge. Dumm sei es nur, wenn die Autofanhrer anfingen zu draengeln (to bully). Und gab mir noch auf den Weg, dass das Ueberfahren einer Roten Ampel 60 Pfund kostet. Aber sah ich so gefaehrlich mit meinem Helm auf dem Kopf aus? Na mal sehen, wer staerker ist. Hab ja noch ein paar Tage im dichten Verkehr.

Gestern abend bin ich mit Kate die wichtigesten Touri-Sachen abgeklappert, dass ich sie schnell hinter mir habe: Picadilly Circus mit dem kleinen Eros, dann diese grosse Strasse, deren Namen ich schon wieder vergessen habe (Oxford Street?) und diese Postkartenmotive, die jeder kennt.

Dann hat mir Kate noch ihren Lieblingsbuchladen gezeigt. Eine Perle: Zwei Stockwerke, bequeme Sessel, altmodisches Moebiliar, und eine tolle Anordnung. Alles nach Laendern: Was zur Sprache, dann Reise-Infos, dann Geschichte, dann literarische Adaptionen ueber das Land und dann beruehmte Autoren des Landes und ihre Werke. Der Hammer! So bleibt man bei so vielen Buechern haengen und will augenblicklich anfangen zu lesen. Da werde ich auf jeden Fall nochmal hingehen.

Habe also gestern, trotz extremer Muedigkeit, einen ersten Eindruck der Architektur, des Zeitungsmarktes und der Leute bekommen. Was will ich mehr? Werde mich jetzt gleichmal in der Bibliothek umsehen. Welch ein Eldorado fuer mich!

Da ich hier out of time runne, war's das mal. Ist kalt, aber gemuetlich. Das Boot, auf dem ich wohne, quellt vor Buechern nur so ueber. Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!

platform 9 3/4


Das fing ja toll an: Mittwochmorgen zu spaet augestanden, nach der S-Bahn gerannt, bei Easy-Jet keinen Automaten sum Ausdrucken der Tickets gefunden, dann eine Stunde auf der Rollbahn gestanden, weil das Wetter in London nicht zum Fliegen einlud.

"LOndon: minus 1 Grad", meinte der Pilot. Seine Stewardess meinte nur: "Der Flug dauert eine Stunde, zwanzig Minuten, sie haben genug Zeit, sich zu entspannen und uns beim Arbeiten zuzusehen." Klar, dass ist es, was ich nach zwei Stunden Schlaf in der letzten Nacht auf jeden Fall brauche: andere beim Arbeiten beaeugen.

Das naechste Problem stellte sich dann, nachdem ich ich den Zug nach King's Cross gefunden hatte. Das Geldabheben klappte ueberraschend fluessig und ich fragte den Bahn-Mitarbeiter, welchen Zug ich denn nehmen muesse. "just take the second train." Etwas unsicher stellte ich die selbe Frage noch einmal, nachdem in der Zwischenzeit ein Zug surchgefahren war. Und bekam sie selbe Antwort. Da hab ich dann endlich nach langer Suche einen Bahnplan gefunden und ich konnte mir selbst helfen.

Im Zug in die Innenstadt hab ich dann mit so einer Lehrerin gesprochen, die nach zwei Jahren in Tibet wieder nach London zurueckkehren wuerde. Einen krasseren Wechsel kann es kaum geben. War ein nettes Gespraech, sie fuhr noch ein bisschen weiter, waehrend ich, anders als mit Kate verabredet, nicht um 9, sondern um 10.45 in King's Cross ankam.

Gemaess der Anweisungen, die ich bekommen hatte, sollte ich mich also am Bahnsteig 9 3/4 der King's Cross-Station einfinden. Das Problem ist zum einen die krumme Zahl, die mir erst jetzt auffiel, und zum anderen die Tatsache, dass mit St. Pancras, King's Cross und Euston drei riesige Bahnhoefe direkt nebeneinander befinden.

Habe dann aber irgendwann immerhin die Bahnsteige 8 und 9 gefunden, um mich dann an einen netten Mann zu wenden, der mit weiterhalf. "Nine three quarter, yeah?It's around the corner, just follow me." Und zeigte mir, was ich suchte.

Zwei Minuten spaeter erzaehlte eine Frau was von Harry Potter, die in der Folgezeit einstroemenden Kinder, die sich vor dem Schild fotografieren liessen, machten die Sache perfekt. Das war also der Bahnsteig, von dem aus Harry Potter den Hogwart Express nahm.

Das loeste aber noch laengst nicht mein Problem, abgeholt zu werden. Ich versuchte, Kate eine SMS zu schreiben. Stellte mich dabei nicht sonderlich geschickt an, nach zwanzig Minuten hatte ich ein langes Ihavearrivedatharryp getippt, ohne Leerzeichen, achtzigmal mittendrin verschrieben, weil diese SMS-Tipperei fuer meine dicken Finger eher schwierig ist.

Zum Glueck kam in diesem Augenblick Kate um die Ecke, begruesste mich, drueckte mir eine aufgeladene (!) Oyster-Card in die Hand und wir fuhren zum Boot.

Ich war also angekommen.

Royal reply

Mr Eppelsheimer,

One was most gratified to receive your letter and one thanks you for your enquiry.

Sadly, due to the rising cost of rent in London, the royal family have been forced to move permanently to one of our castles in Scotland. Buckingham Palace has just been bought by Mr Richard Branson, who plans to turn it into a nightclub. I suggest you contact him with your question.

If you should find yourself in Scotland during your visit you are more than welcome to visit us. I do hope you like corgis. I welcome guests at Christmas, as it means I will not have to spend so much time talking to my son's new wife.

Yours royally,
Her Majesty the Queen

Tuesday, December 19, 2006

Der Kampf um die Schokolade

Gestern habe ich ein lustiges Spiel gespielt: Es wurde nach den Spielregeln der "Reise nach Jerusalem" gespielt.

Der Einsatz ist ein Beutel mit Weihnachtsleckereien, den jemand in der Umkleidekabine des Schwimmvereins nach dem Weihnachtsschwimmen vergessen hat. Bewerber um den schon aufgerissenen, aber noch von Schokolade überquellenden Beutel waren ich und ein Mitglied des Schwimmvereins vom Arbeiter-Samariter-Bund.

Alle anderen waren schon gegangen und hatten dem Beutel, der recht verloren vor einem Garderobenschrank herumlag, überhaupt keine Beachtung geschenkt.

Jetzt also nur noch wir zwei: Ich bemühte mich, mein Ohr gründlich abzutrocknen, die Badehose in aller Gründlichkeit auszuwringen, während er sich betont langsam anzog und nebenher, wie ich bemerkte, seinen Weihnachtsbeutel um die ein oder andere Süßigkeit erleicherte.

Dazu muss gesagt werden, dass jener Sportsfreund auch in den Jahren davor häufig und gern, und wahrscheinlich nicht nur Schokolade, gefuttert hat. Wir bewegten uns also beide im Zeitlupentempo, nahmen uns alle Zeit der Welt und fanden immer noch einen Körperteil, den wir nicht schon dreimal abgetrocknet hatten.

Ich hatte den logistischen Vorteil, dass der Beutel voll Weihnachtsleckereien genau gegenüber meines Schrankes lag. Ich hatte ihn also quasi körperlich fast schon besessen.

Es wurde spät.

Dann aber gab er das Spielchen auf, schnappte sich seine Sachen, wünschte mir ein schönes Weihnachtsfest und strebte dem Ausgang zu.

In diesem Augenblick kam ihm eine junge Frau entgegen, die mit den Worten "Ich muss mal kurz stören, das haben sie mir weggenommen" MEINEN Schokoladen-Weihnachts-Überraschungs-Beutel an sich nahm und blitzschnell damit verschwand.

Schade. Dafür habe ich bei Marcus am Abend voll leckere Sachen zu essen bekommen. Das hat mich doch mehr als entschädigt. Und wie meinte Marcus ganz recht in Bezug auf meinen anstehenden Urlaub: In Lundonium gibt´s Polonium.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

A letter to the Queen


Dear Queen Elisabeth,

I still haven´t found out yet where exactly you are living, but I´ve heard a lot about Buckingham Palace. Besides there was some rumour that Prince William´s girlfriend Kate Huddleton insisted on celebrating her own little christmas party.

I don´t want to interfere in your royal business, but I want to go to London this christmas.
Maybe you can invite me instead.

Just be so kind and give me one of your rooms - I only need little space, I´ll even take a sleeping bag with me - and I´ll be the most invisible guest you ever had. I can even imagine to play with your corgis, though I actually hate dogs. But for you I´d make an exception: I`d only have to overcome my allergic reactions and everything would be fine.

By the way: I was looking for a host via hospitality club, but all members seem to be very busy around Christmas. That´s why a friend of mine encouraged me to send you a letter instead.

Could you tell me if I should take my mosquito repellent with me? I even have some malaria protection in case the mosquitos are agressive this winter.

Please let me know if I might even get an own key,

yours sincerely
Sven E.

Saturday, December 16, 2006

Öfter mal was Neues

Die Straßenbahn, die Straßenbahn.

Da sitze ich eben in der Tram, die eigentlich noch eine Station bis zur Uni weiterfahren soll. Danach kann sie entgleisen, sich im Kreis drehen, ein Lied singen: mir egal, dann würde ich da sein, wo ich hinwollte.

Jetzt stand ich aber an der Haltestelle in der Friedrichstraße, alle Fahrgäste waren ausgestiegen, der Fahrer komischerweise auch. Es gab aber keine Ansage, dass die Bahn nicht weiterfahren würde.

Also wartete ich geduldig. Nach vier Minuten kam der Fahrer wieder, spähte in die hinteren Gänge, wo er mich als einzigen Fahrgast ausmachte, verstaute seine Einkaufstüten in der Fahrerkabine und fuhr weiter.

Hat wahrscheinlich Hunger gehabt, oder seine Frau hat vergessen, ihm Arbeitsstullen zu schmieren, oder der Kollege , mit dem er sonst tauscht (eine Schachtel Zigaretten gegen Käse- Salami-Sandwich und ein Joghurt), muss heute nicht arbeiten.

Der Fahrer vor drei Tagen war noch lustiger: Es war abends halb 11, ich hatte das Treffen mit einer anstrengenden Referatsgruppe noch nicht ganz verdaut, da fuhr der einfach falsch. Bog rechts ab, wo er eigentlich geradeaus hätte weiterfahren müssen. "Meine Damen und Herren, ich muss mal fragen, ob ich nochmal zurückfahren darf."

Durfte er. Also lief er einmal durch die Bahn ans andere Ende, setzte sich ans Steuer und lenkte die Bahn rückwärts zur Haltestelle Eberswalder Straße. Das lustige war, dass genau in dem Moment eine Bahn regulär zu diesem Halt unterwegs war, so dass sich zwei Bahnen parallel fortbewegten. Die eine vorwärts, die andere rückwärts.

Hat Spaß gemacht. Geklatscht haben wir nicht, aber immerhin gelächelt.

Thursday, December 14, 2006

Wangenbeißer


Da habe ich grad noch mal, mit Ach und Krach, die Kurve bekommen. Bin beim Zahnarzt gewesen, dessen Praxis sich am Ende des Jahres hoher Beliebtheit erfreut, weil der Bundesbürger von Welt auf einem Stempel im Bonusheft besteht, auf dass die dritten Zähne im Alter nicht ganz so schwer ins Portemonnaie krachen.

Bohren war nicht nötig, musste also keine Praxidgebühr zahlen, aber ich möge doch Zahnseide benutzen. Und ich zeige Anzeichen des Knirschens, sei zudem ein Wangenbeißer.

"Haben Sie Stress?"
"An der Uni, ja. Geht aber, nicht so schlimm."
"Da sehen sie´s. Wir behalten das im Auge. Könnte sein, dass sie nachts ne Schiene brauchen"

Aber wofür? Dass die Eisenbahn nachts in meinem Mund nicht entgleist?
Und dafür zahl ich in die Krankenkasse ein. Tolle Wurst.

Monday, December 11, 2006

Platz 1: Ich und meine Eltern

Das ist so etwas wie der Evergreen: Wann schaffe ich es endlich, ein eigenes selbstbestimmtes und erfolgreiches Leben zu führen?

Heute, im Dezember 2006, bin ich weiter denn je davon entfernt.

Meine Eltern zahlen meine Miete, für Krankenkasse, Strom und Gas muss immer mal wieder ein Freund einspringen und Telefon habe ich schon lange nicht mehr.

Der Coup aber ist, dass ich jedes Wochenende bei meinen Eltern antanze, auf dass ich nach einer gemeinsamen Mahlzeit mit zwei riesigen Tüten unterm Arm den Nachhauseweg antrete, auf dass ich wieder mal eine Woche nicht verhungere.

Will ich ne Freundin haben, muss ich eigentlich nur fragen, ob sie denn am Sonntag mit zu meinen Eltern will, weil es da so leckeren Kuchen gibt.

Das ist ein Leben.

Platz 2: Pack die Badehose ein

Sang ja schon Connie Froboess anno 1951.

Da ich mich mit Fred jedoch bei einem Super-Sportwochenende im August 2004 (Samstag morgen: Triathlon in Waren, abends: City-Night in Berlin, Sonntag: Aquathlon in Spandau) messen wollte und am Tag davor in Waren erfolgreich und schnell finishte, hatte ich zu allem Überfluss meine Badehose vergessen.

Nach fast zwei Stunden Fahrtweg zu einem derart abgelegenen See fällt mir beim Durchstöbern meiner Sachen also auf, dass da keine Badehose ist, wo sie hätte sein sollen. Jetzt war kluger Rat teuer. Zwar gab es nebenan einen Stand von so einem Sportartikelgeschäft, das als Sponsor der Veranstaltung fungierte, aber die hatten nur so überteuerte Badehosen. Und auch Neopren-Anzüge. Aber mir hätte ja eine kleine normale Badehose gereicht. Keine teure mit Radeinsatz und Haifischschuppen. Einfach nur ne Badehose.

Also beschloss ich gezwungenermaßen, meine etwas ausgebeulte ausgeleierte Unterhose anzuziehen. Mit einer derart kompetenten Farbkombination (hellblau/dunkelblau), dass man seine Augen nicht mal auf scharf stellen musste, um zu erkennen, dass das keine richtige Hose war. Zu allem Überfluss war der Gummizug auch nicht sehr hilfreich: Fred war so nett, die Kordel einer am Vortag bei der City-Nacht gewonnenen Trillerpfeife um meine athletische Hüfte zu binden, auf das die Badehose die gesamten anderthalb Kilometer auch beim Besitzer der Schwimmhose blieb.

Meine Buchse sollte mir beim Schwimmen keine große Hilfe sein: Wie ein riesiges aufgeblähtes Vorsegel trieb ich mit der Hose durch das Wasser. Eng anliegend und stromlinienförmig ist anders.

Das eigentlich schlimme aber war: Während Fred sich in seinem Neoprenanzug zu den extrem stylish gut gebauten Athleten und Athletinnen stellen konnte, schwamm ich mich abseits der meisten versteckt hinter einer kleinen Bucht ein. Niemand sollte mich und meine tolle Badehose sehen.

Platz 4: Eine Sache von Sekunden

Nachdem ich es als Judoka (1985-1989) und Fußballer (1989-2001) nur zu bescheidenem Erfolg gebracht hatte und dabei eher meine Gesundheit nachhaltig aufs Spiel setzte, fing ich halt irgendwann an zu laufen. Zwar schon in der Zeit, als ich noch dem runden Leder hinterherjagte, aber danach eben etwas intensiver.

2002 hatte ich mir vorgenommen, am Halbmarathon in Berlin teilzunehmen. Der findet immer im April statt, das Wetter ist dann schon recht angenehm, die Strecke lässt jegliche Hügel vermissen und die Zeit ist dann also auch immer ganz passabel. Wenn man einigermaßen trainiert hat davor.

Das wollte mir in dem Jahr nicht so recht gelingen. Kleinere Verletzungen und das Fehlen der rechten Motivation, da ich ohne Trainingspartner monoton mein Pensum absolvierte, ließen mich zu der Einsicht gelangen, dass die eigene Bestzeit (1:23:38) außer Reichweite sei.

Im Wettkampf selbst lief es auch nicht so gut, da ich ohne Uhr lief, konnte ich nur meinem Gefühl vertrauen. Das war bis Kilometer 17 ganz gut, dann brach ich aber ein. Das bekam ich auch ohne Uhr mit, ich schleppte mich von Kilometer zu Kilometer.

In der Zielgasse, die von zahlreichen Zuschauern gesäumt war, bin ich so ziemlich der einzige gewesen, der nochmal an Tempo verlor. Jeder Schritt eine einzige Qual.

Na gut, dachte ich mir im Ziel, das war jetzt keine tolle Leistung, aber alles, was unter 1:30 ist. ist ein Erfolg. Und wenn es 1:29:59 wäre. Egal, Hauptsache unter 1:30. Das konnte man dann beim Bericht noch etwas ausscmücken.

Hätte man können, wenn es gewesen wäre seit gedingst. Hat aber nicht.

Platz 3: Zählst du noch oder rennst du schon?


Pünktlich nach meinem Einzug in der neuen Wohnung in der Nordkapstraße wurde ich im Internet auf eine Veranstaltung meiner Wohnungsbaugesellschaft GSW aufmerksam: Diese veranstaltete in einem Hochhaus in Waidmannslust einen Wettlauf im Hochhaus.

Das Prozedere war einfach: Im ersten Lauf mussten zwei Runden a 200 Runden gerannt werden und dann hoch bis in den 8. Stock, beim zweiten Lauf eine Runde und dann die Treppen hoch bis in den 16. Stock.

Man startete paarweise und in gleichmäßigen Intervallen: Nach dem ersten Lauf wunderte ich mich etwas, dass mein etwas moppeliger Partner nur Sekunden nach mir ins Ziel kam. Nun gut, ich war jetzt nicht in Bombenform, aber dieser knappe Abstand gab mir dann doch zu denken.

Unten erfuhr ich dann von so Jugendlichen, dass ich ne Runde zu viel gelaufen sei: drei statt zwei Runden. Meine Zeit war okay, aber miserabel gegenüber den Spitzenzeiten. Ich hatte fast eine Minute Rückstand auf die Spitze.

Im zweiten Lauf war ich dann der deutlich Schnellste, nur konnte ich mir dafür grad mal nichts kaufen, da durch diese Dummheit alle Medaillen und Preise dieser Welt außer Reichweite geraten waren. Als gefühlter Sieger trank ich ein gefühltes Bier und legte mich schlafen.

Platz 5: Meine kleine WG

Da wollte ich endlich aus der bedrückenden Enge meiner kleinen elterlichen Wohnung raus, und da das Workcamp in Moskau seine Schatten vorauswarf, machte ich schnell noch Nägel mit Köpfen und hüpfte zu Volkmar in die Wörther Straße. Schönie fuhr meine paar Sachen in seinem damals noch kleinen Wagen bequem in die neue Behausung.

Ich erwartete ein selbstbestimmtes Leben und ausschweifende Party ohne Ende, bekam aber stattdessen den tristen Alltag und einige wohlverdiente Standpauken meines Mitbewohners und Freundes Volkmar vorgesetzt.

Da ich von nix ne Ahnung hatte, in der elterlichen Wohnung nur mal dann und wann für Müll und Abwasch zuständig war, gab es jede Menge Sachen, die mich irritierten: dass man einen Kühlschrank abtauen kann, stellte für mich eine Möglichkeit, aber keine Notwendigkeit dar, wie man jetzt am besten das Klo sauberbekommt, war mir lange nicht klar und was man alles so im Haushalt braucht, dass man ein schmackhaftes Mahl zaubert, fiel mir schon damals nicht auf.

Ich machte falsch, was man nur falsch machen konnte und zog mich immer mehr zurück: Ich verzichete auf jegliche individuelle Gestaltung meines Zimmers und verdarb es mir irgendwann völlig mit meinem alten Freund. Der Weg nach Hause wurde zur Qual, jedes Mal, wenn ich auf dem Nachhauseweg von der U-Bahn in Richtung der eigenen vier Fenster blickte, atmete ich auf, wenn mein Mitbewohner nicht zu Hause war.

Ich hätte nie gedacht, dass man sich über einen Putzplan und einen (meinen) Socken im Flusensieb der Waschmaschine so ärgern konnte. Ich zog zwei Jahre später in die Gleimstraße und kann nur von Glück sagen, dass die gemeinsame Zeit in der WG unsere Freunschaft nicht zerstört hat. Viel hat nicht gefehlt.

Platz 7: Mach dich schon mal frisch

Nach dem Zivildienst gönnte ich mir zehn Wochen Australien. Entlassungsgeld - zack, auf den Kopf gehauen - und dann ans andere Ende der Welt.

Als ich im Februar 1998 nach Deutschland zurückkehrte, musste ich zum einen feststellen, dass es in Frankfurt doch ein paar Gräder kalt war, zum anderen hatte ich mal sowas von kein Geld, dass es gerade noch so für ein Wochenendticket reichte, nachdem ich in Perth schon zum Flughafen gelaufen war.

Es war Donnerstag und ich musste noch zwei Nächte in einer der charmantesten Städte der Welt zubringen: die Jugendherberge war zu teuer, die Bahnhofsmission wollte mich nicht, also war ich auf mich allein angewiesen. Tagsüber ging es, da konnte man am Bahnhof die Übertragung derOlympischen Winterspiele sehen, oder auch sonst in irgendein Geschäft gehen, wo es warm war.

Abends war das Problem. Da ich in Australien die Flughäfen als einladende Orte kennen- und schätzengelernt hatte, analogisierte ich, dass es in Deutschland genau so sein müsse. Ich fuhr also zum Flughafen, wo mir allerdings zu Ohren kam, dass da irgendwann, wenn kein Flug mehr geht, alles dicht gemacht wird. Also fuhr ich zurück, und wurde in der Bahn von einem mittelalten Mann angesprochen, der mich ausgesprochen höflich bat, doch die Schuhe von der Sitzbank zu nehmen.

Dem entsprach ich augenblicklich, und wir kamen ins Gespräch. Er entnahm meinem Reden, dass ich auf der Suche nach einer Herberge war, nur eben ohne richtiges Geld, und vermittelte den Eindruck, mir weiterhelfen zu können. Ich folgte ihm also, wurde nicht immer ganz schlau aus ihm, da er zwar halbwegs verständlich, aber doch nicht fließend Deutsch sprach.

Wir gingen in seine Wohnung, er bat mich, meinen Rucksack abzustellen und mich doch in aller Ruhe zu duschen, da ich doch eine lange Reise hinter mir hätte. Das machte ich nur zu gern, hatte ich doch zuletzt vor - na ja - einiger Zeit geduscht. Ich liess mir Zeit, anschließend setzte ich mich mit auf die Couch, und wir sahen noch etwas fern.

Ich meinte dann, dass ich gern auf der Couch schlafen könne, da es im Zimmer noch ein großes Bett gab. "Brubbel, brubbel, geh doch ruhig ins große Bett."

Das wertete ich mal fett als Gastfreundschaft, legte mich also in die Riesenkoje, und dachte gerade, was für ein Glückspilz ich sei, als erst der Fernseheer, dann das Licht ausgeschaltet wurde und etwas zu mir ins Bett gekrochen kam. Na gut, dachte ich, das Bett reicht ja für drei, das ist schon okay. Ich versuchte einzuschlafen, war nur etwas verwirrt, dass sich mein Gastgeber mir Stück für Stück näherte. Ich dachte: Na ja, der muss sich seine richtige Schlafstellung erst suchen, hat ja vorhin was von seiner Frau erzählt, was soll´s.

Lustig wurde es erst dann, als er Hautkontakt rankam und auch schneller zu atmen anfing. Und spätestens, als er dann anfing, sein Becken überaus rhythmisch gegen das meine zu balancieren, begehrte ich auf. "Nee Meister, steh ick nich so druff, lass ma!"

"Nur ein bißchen, dauert gar nicht lange". Habe ihm dann klar gemacht, dass ich keine Lust auf so Spielchen hatte, und er ließ von mir ab. Hab mir keinen Kopf gemacht, bis der Kollege dann mit flinken Fingern meine Hose etwas lockern wollte. "Ey, Meister, so ham wa nich jewettet": "Ach nur ein bißchen, ich bin doch so allein. Is ja gleich fertig, dann kannst du auch weiterschlafen".

Da ich aber nicht den geilen Spielkameraden abgeben wollte, stand ich auf, entschuldigte mich auch noch für mein Verhalten (!), und packte meine Sachen. Wir verabschiedeten uns voneinander per Handschlag, der Kollege wies mich noch einmal darauf hin, dass es einzig meine Schuld war, dass die Nacht so kurz war und ich begab mich in die kalte Frankfurter Nacht, wo ich die Zeit mit so einem verhaltensauffälligen türkischen Jugendlichen rumbrachte.

Platz 6: Einmal um die eigene Achse

Ich hatte mal einen tollen Nebenjob im Winterdienst: Bin mit einem kleinen Schneemobil der BSR über verschneite Straßen gefahren, auf dass niemand mehr ausrutscht und alle viel Spaß haben. Die eigentliche Aufgabe bestand darin, irgendwelche Hinterhöfe und Aufgänge mit einem Partner vom Schnee zu befreien und den Untergrund ordentlich mit Sand zu bestreuen.

Ich hätte von vornherein skeptisch sein sollen: Als sich das Heer der Winterdienstler - mehrheitlich Studenten und Pensionäre - in der Mühlenstraße mit dem Job vertraut machte, war ich der einzige, der vom BSR-Menschen gebeten wurde, noch eine zusätzliche Runde im Auto zu drehen. Es gab drei verschiedene Modelle, mit denen man auf seine Tour geschickt werden konnte, und ich war dem Chef nicht couragiert genug: "Nun drück mal n bißchen auf´s Gas, Freundchen", versuchte er mich zu einer schnelleren Fahrt zu animieren.

Bin ich Stuntman oder Nebenjobler?

Zumindest ging mir der Job ganz schön auf die Nerven, da es kein Spaß ist, um 1 Uhr nachts aus dem Bett geklingelt zu werden, um dann drei Stunden später irgendeine blöde Tour zugewiesen zu bekommen. Ich hab dann einfach in der elterlichen Wohnung heimlich den Telefonstecker aus der Wand gezogen. Meine Eltern dachten sich nichts dabei, dass ich trotz prächtigen Winters nur vergleichsweise wenige Einsätze hatte.

Eines Sonntags, als ich mittags ein Spiel mit meiner Fußballelf haben sollte, war meine Mutter so geistesgegenwärtig, dem BSR-Menschen zu versichern, daß Sohnemann noch im Bette liege, aber sich doch schon drauf freut, gutes zu tun und seinem Job nachzugehen.

Ich frühstückte also flüchtig und stand eine dreiviertel Stunde später auf dem BSR-Hof. Ich ging die kleine Treppe hoch, ließ mir Plan und Schlüssel geben, suchte mein Auto, verfluchte, dass ich ganz ohne Stadtplan mein Gebiet finden wollte, glaubte mich aber zu erinnern, die Bänsch- und Weserstraße schon mal besucht zu haben.

Ich machte mich also auf den Weg, verfuhr mich ein paar Mal, hatte dann aber plötzlich einen Plan und fuhr los. Bevor ich auf die Petersburger Straße fuhr, schnallte ich mich noch einmal an und ich machte mich Richtung Bersarinplatz auf.

Es war recht glatt, so dass man nicht schneller als 30 km/h fahren konnte, trotzdem wurde hinter mir ordentlich gedrängelt. Ich fahre also schön auf der Petersburger und überhole ein rechts auf der Straße stehendes Auto, blicke mich nach hinten um, der Schulterblick geht aber ins Leere, weil hinter mir ne Wand und keine Scheibe war, ich lenke nochmal und plötzlich lag ich auf der Seite.

Ich musste mich dann kurz orientieren, machte die Tür nach oben auf - was die Fahrertür war - und beschaute das Spektakel. Die Rundumleuchte lag zehn Meter enntfernt, der Sand war hübsch auf der Straße verteilt, aber mir gings gut und ich rief erstmal über das Bündelfunkgerät die Zentrale an.

War ständig besetzt, aber auf der anderen Straßenseite vernahm ich plötzlich ein anderes BSR-Auto, ich winkte dem Fahrer zu und er kam rüber. Er rief dann erstmal die richtige Nummer an - die Nummer, die in meinem Auto stand, war die eigene - und rief Verstärkung. Bevor die aber eintraf, wollte der Reporter der BILD-Zeitung erstmal ein Helden-Foto von mir. Da ich mich aber keinesfalls als Held fühlte, ging ich dezent aus dem Bild.

Das Auto hatte einen ordentlichen Schaden erlitten (ich hörte was von 70´000 D-Mark), ich wurde erstmal aus dem Verkehr gezogen und durfte in der Folge nur noch als Beifahrer fungieren. Hatte mir trotzdem eine gewisse Reputation eingebracht: Ach so, du bist also der, der damals...?". Genau.

Der Polizist war recht fassungslos: "Also so was habe ich ja noch nie gesehen. Dieses Auto hat so einen niedrigen Schwerpunkt, das kann eigentlich gar nicht umkippen. Wie haben sie das nur angestellt?"

Das blieb mein Geheimnis. Aber wie sagte schon der olle Archimedes: "Gebt mir einen festen Punkt außerhalb der Erde und ich hebe die Welt aus den Angeln."




Platz 10: Ja, wo laufe ich denn?


In der 1. oder 2. Klasse haben wir zum ersten Mal einen Langstreckenlauf absolviert. Die Strecke, die uns der Lehrer in der Sportstunde davor gezeigt und erläutert hatte, führte in einer großen Runde um unser Schulgelände und die Turnhalle.

Das wird so etwas mehr als ein Kilometer gewesen sein. In grünen Hemden und blauen Hosen machten sich also 14 Knirpse auf den Weg. Start und Ziel waren identisch, aus unserer Klasse war ich der Schnellste, setzte mich also an die Spitze und strebte einem ungefährdeten Start-Ziel-Sieg entgegen.

Ich näherte mich also der Ziellinie, überquerte sie aber nicht. Blieb stehen. Mein Sportlehrer rief mir zu, ich solle doch ins Ziel laufen. Hab ich nicht verstanden. Er hat noch acht Mal gerufen, jedes Mal schrie er etwas lauter. Für mich aber war der Lauf beendet, basta. Erst als Marcel S. mich überholte, habe ich so eine Ahnung eintwickelt, dass das Rennen doch noch weiterging. So bin ich immerhin Zweiter geworden.

An die Zensur kann ich mich nicht mehr erinnern. Es war dies jedoch der großartige Auftakt einer langen Serie des Scheiterns. Samuel Beckett wäre stolz auf mich.

Platz 8: Ines und das Tigerfell

Bevor ich kurz auf das lustigste Zivi-Erlebnis eingehe, möchte ich kurz das traurigste schildern:

Wann immer ich Frühschicht hatte, musste ich mich beeilen, halbwegs pünktlich um sechs Uhr morgens in Buch zu sein, war ich müde. Im Aufenthaltsraum saßen eh alle gelangweilt rum und warteten, dass es endlich 6.30 Uhr wurde: Dann wurde die Nachtschicht abgelöst, und die Schwestern zeigten stolz ihre ausgerätselten Kreuzworträtselhefte und schilderten ebenso kurz wie prägnant, wer von den Patienten wieder eingepullert hatte, seine Tabletten nicht eingenommen oder das Fieberthermometer zum dritten Mal absichtlich heruntergeschluckt hatte.

Ich nutzte die halbe Stunde immer, etwas zu dösen: Äuglein zu und an was Schönes gedacht. Einmal bellte mich die Stationsschwester aus den schönsten Träumen: "Sven, du schläfst ja!", hab ich Dagmar´s Fauchen noch heute im Ohr. Und bevor ich mein entschiedenes "Stimmt ja gar nicht" in Richtung des Drachens säuseln konnte, hatte ich mich ungefähr so geschickt wie Mr. Bean, der beim Kirchengesang einnickte und dann panisch um sich schlug, als er vom Nachbarn angestoßen wurde, mit hastigen Bewegungen aus meinem Traum herauskatapultiert.

Jetzt aber das lustigste Erlebnis:

Es muss noch im November gewesen sein, noch bevor ich mit Tobias für vier Wochen in die Zivildienstschule nach Bad Oeynhausen abkommandiert wurde, dass ich gebeten wurde, doch mal eines dieser Anti-Dekubitus-Felle aus der Waschmaschine zu holen.

Unsere Patienten hatten alle so Druckstellen vom ewigen auf der gleichen Stelle (im Bett) liegen oder (im Rollstuhl) sitzen. Da gab es dann so Felle, die sollten verhindern, dass es Druckstellen gibt. Ich ging also in den Arbeitsraum, wo die Waschmaschine stand. Durch das Bullauge konnte ich die Felle auch schon sehen. Nur kriegte ich die Maschine nicht auf. Versuchte es ein zweites, ein drittes Mal: wieder nichts.

Da ich allein in diesem Raum war, trat ich auf den Flur und flehte die nächstbeste Schwester um Hilfe an. Das war in diesem Fall Ines: 1,80 groß, Kreuz wie eine eine bulgarische Kugelstoßerin, 80iger Jahre Vokuhila-Frisur, krasse Sprüche, aber eigentlich die netteste von allen damals. Das hab ich da aber noch nicht gewusst: hab sie nur als Kraftprotzin mit Hasenzähnchen wahrgenommen.

Ines erkundigt sich also kurz, worum es geht ("Watt soll ick machen?"), geht dann an mir vorbei und lenkt ihre Schritte zielsicher auf die Waschmaschine. Sammelt kurz ihre Kraft, ist in Gedanken schon beim nächsten Patienten, kann die Kleinigkeit aber nicht umgehend erledigen.
Strengt sich also ein zweites Mal an, diesmal etwas mehr - aber auch diesmal will es ihr nicht gelingen, die Waschmaschine zu öffnen.

Beim dritten Mal legt sie es dann drauf an. Mein geflüstertes "Ich weiß auch nicht, warum das nicht geht" beruhigt sie leider nicht, sondern bringt sie eher noch mehr auf. Sie muss es jetzt professionell angehen, schließlich hat sie einen Ruf zu verlieren: Sie geht frontal vor dem Bullaige etwas in die Hocke, greift mit beiden Händen an die Maschine und konzentriert sich. Sie sieht jetzt ein bißchen aus wie eine Gewichtheber-Frau, die nach zwei Fehlversuchen einen gültigen Versuch landen will.

Sie wippt also etwas in der Hocke, reißt wie eine Irre an der Waschmaschine - und tatsächlich: Sie schafft es tatsächlich, dass sich viele viele Liter Waschmaschinenwasser über ihr schickes Kostüm ergießen. Wortlos, von oben bis unten patschnass, läuft sie an mir vorbei und würdigt mich keines Blickes.

Ich weiß bis heute nicht, ob das Wasser eigentlich warm oder kalt war.

Platz 9: Charly hält dicht

Ich tat mich anfangs als Zivi im Krankenhaus recht schwer. Wusste nicht, was ich machen sollte, wann ich es machen sollte, wie oft ich es machen sollte, wann ich selbst mal auf eigene Faust was riskieren sollte - ich war ja nicht mehr in der Schule, wo mir alles vorgschrieben wurde.

Und jetzt musste ich mich in Berlin-Buch mit Querschnittsgelähmten beschäftigen: waschen, füttern, durch die Gegend schieben.

Das schlimme waren aber die neuen Autoritäten, die da als Krankenschwestern verkleidet meine Chefs waren und Anweisungen gaben. Davon auch häufig Gebrauch machten.

Meine Lieblingskrankenschwester hieß Jana, blätterte jeden Morgen in der BZ, war richtig dick und hatte so einen leichten Akzent. Sie war weit davon entfernt, gut auszusehen, wenn sie jeden Morgen mit ihrer Tüte in den Aufenthaltsraum schlenderte. Aber sie ließ sich die Butter nicht vom Brit nehmen, sie wusste sich zu wehren, hatte ein loses Mundwerk.

Ich hatte den Eindruck, dass sie mich nicht sonderlich gut leiden konnte. Das tat mir weh. Also rannte ich zu meiner Lieblingsküchenfrau Charly und sagte der: "Du, ich glaube, Jana mag mich nicht." Von dem Tag an mochte Jana mich wirklich nicht.

Woher sollte ich wissen, dass es ausgerechnet die Küchenfrauen sind, die gern plaudern?

Samuel Beckett - Godfather of Scheitern

"Alles seit je. / Nie was anderes. / Immer versucht. / Immer gescheitert. / Einerlei. / Wieder versuchen. / Wieder scheitern. / Besser scheitern."
Samuel Beckett

Friday, December 08, 2006

Ein Brief von Marlen

Lieber Sven,

du glaubst nicht, wie schön es hier ist. Am liebsten würde ich die nächsten Wochen oder besser noch den ganzen Sommer hier bleiben. Was für ein Leben, die Haut riecht nach salziger Meerluft und Sommer, den ganzen Tag ist man unterwegs und durchstreift die leuchtend gelben Rapsfelder, spaziert den Strand entlang, läßt sich von jedem geschliffenen Stein eine Geschichte erzählen.

Mecklenburg ist wunderschön, ich bin ganz verliebt in die Kastanienalleen und die ursprüngliche Landschaft. Was für ein Erlebnis, wieder nachts Glühwürmchen zu sehen, Grillen zirpen und Frösche quaken zu hören. Und Millionen Sterne am Himmelszelt, die man am Berliner Himmel nicht mehr sehen kann. Natur pur. Das hat mir doch sehr gefehlt, wie mir mit einem Schlag bewusst wurde. Ich genieße es sehr, dass die Freunde da sind, ebenso aber auch, dass man tagelang allein umherstreifen kann, wie ein Kind auf Entdeckungstour.

Glück erfährt man wirklich nicht am Schreibtisch, sondern mit baumelnden Beinen an der Steilküste, vor sich die weite See. Wo es so viel zu entdecken gibt, Ameisen bauen sich Babel´sche Türme, Fischreiher ziehen Kreise, eine dicke Kreuzspinne webt ein Netz, das in der Sonne glänzt.

Es ist schön, wieder loszulassen, Zeit zu haben. Das Herz ist offen und das Leben darf hinein. Es zeigt sich freundlich, vielleicht als ein Wink. So schwer ist es gar nicht mit dem Glücklichsein, man muss nur schauen, womit man sich wohl fühlt.

Momentan atme ich tief ein, pumpe die Lungen voll Ostseeluft, um gestärkt wieder nach Berlin zu fahren. Alles erscheint klar und leicht: Ich bin ich, das ist gut so, das das Leben meint es gut mit einem, wenn wir es gut mit uns meinen. Die vielen Anforderungen, die gar nicht meine sind, werden von Bord geworfen, damit die Reise unbeschwert weitergehen kann.
(...)

Bin wieder total neugierig auf alles und jeden, die Tage scheinen einem wieder zu Füßen zu liegen, anstatt dass man ihnen hinterhereilt. Ach Sven, ich weiß, dass ich schrecklich überschwenglich bin. Vielleicht ist mir der viele Rapsduft in die Nase gestiegen und noch mehr ins Gehirn. Natürlich ist dieser Brief nur eine Momentaufnahme, aber im Moment bin ich nicht zu zügeln, könnte Purzelbäume schlagen, weil so viele Sachen noch zu erleben sind.
(...)

So, jetzt ist mein Briefschreibeanfall vorbei und Du bist erlöst, krakelige Schrift auf zu kleinem Briefpapier zu lesen und dich mit Marlenchens Seelenleben auseinanderzusetzen. Trozdem macht es Spaß, Dir zu schreiben. Also, genieße die Tage -
Alles wird gut
Marlen

Friday, December 01, 2006

Psycho


War eigentlich ein sehr angenehmer Tag gestern: Zuerst habe ich bei der SZ bei so einem recht anspruchsvollen Rätsel ein ziemlich cooles (und auch teures) Geschenk gewonnen, das ich einem Freund zu Weihnachten zukommen lassen werde, zum anderen habe ich das allerallererste Mal in meinen Leben in einer meiner Taschen Geld gefunden: einen zusammengerollten 20 Euro-Schein. Da steigt die Stimmung wie ein Luftballon, mhmh, ja Freunde lachen ist gesund. Das ist die große bunte ...

Recht spaßig wurde es dann aber erst beim Laufen. Weil mein Freund Ingmar eine (!) Stulle gegessen hatte, fühlte er sich außerstande, den Trainingspartner abzugeben. Bin ich halt alleine ins Stadion getrabt, habe dann schnelle 5 Kilometer hingelegt (21 min), um dann etwas die Lust zu verlieren. Dann habe ich mich etwas gelangweilt und beschlossen, in der Außenbahn zu laufen, um mich an den- oder diejenige ranzuhängen, der/die mich auf einer der Innenbahnen überholt.

Irgendwann hat mich dann so ein eingemummelter Mann mit Mütze überholt, und ich hab mir schon die ganze Zeit, die ich hinter ihm herlief überlegt, dass ich, wenn ich mir so ne Kuhglocke umhängen würde, den Leuten echt den Angstschweiß unter die Mütze treiben könnte. Ich hatte meinen Schlüssel in de Tasche, der auch so Geräusche machte, aber die meisten laufen eh mit Knopf im Ohr, da stört es sie auch nicht. Ich hab mich dann schon gewundert, als besagter Vor-mir-her-Läufer auf Höhe der Mittellinie einen brutalen Spurt hinlegte. Das sah keinesfalls elegant aus, aber viele dieser Läufer beenden auf diese Art und Weise ihren Trainingsbetrieb.

Nicht so er: weiter ging´s auf der äußersten Bahn. Da habe ich mich natürlich nicht lumpen lassen, und habe die Lücke wieder zugelaufen. Und wieder hatte mein Freund mein regelmäßiges Schlüsselklicken im Ohr: tick, tick, tick - pro Schritt einmal wackeln. Nun bin ich ziemlich kurz, und mache auch noch kleine Schritte - da gibt´s das Geräusch dann häufiger auf einer Stadionrunde. Nach 200 Metern hatte ich ihn eingeholt, weitere 100 Meter weite scherte er aus, drehte sich um und brüllte: "Ey, hast du ne Macke, kannst du dir nicht ne eigene Bahn suchen?!".

Meine Antwort ließ nicht lange auf sich warten, soll an dieser Stelle aber nicht wiedergegeben werden. Hab irgendwas höfliches entgegnet und ihn in eleganter Läuferhaltung überholt. Jetzt frage ich mich: Wo gibts diese Kuhglocken, die ich mir dann beim nächsten Mal umschnalle?