Monday, December 11, 2006

Platz 8: Ines und das Tigerfell

Bevor ich kurz auf das lustigste Zivi-Erlebnis eingehe, möchte ich kurz das traurigste schildern:

Wann immer ich Frühschicht hatte, musste ich mich beeilen, halbwegs pünktlich um sechs Uhr morgens in Buch zu sein, war ich müde. Im Aufenthaltsraum saßen eh alle gelangweilt rum und warteten, dass es endlich 6.30 Uhr wurde: Dann wurde die Nachtschicht abgelöst, und die Schwestern zeigten stolz ihre ausgerätselten Kreuzworträtselhefte und schilderten ebenso kurz wie prägnant, wer von den Patienten wieder eingepullert hatte, seine Tabletten nicht eingenommen oder das Fieberthermometer zum dritten Mal absichtlich heruntergeschluckt hatte.

Ich nutzte die halbe Stunde immer, etwas zu dösen: Äuglein zu und an was Schönes gedacht. Einmal bellte mich die Stationsschwester aus den schönsten Träumen: "Sven, du schläfst ja!", hab ich Dagmar´s Fauchen noch heute im Ohr. Und bevor ich mein entschiedenes "Stimmt ja gar nicht" in Richtung des Drachens säuseln konnte, hatte ich mich ungefähr so geschickt wie Mr. Bean, der beim Kirchengesang einnickte und dann panisch um sich schlug, als er vom Nachbarn angestoßen wurde, mit hastigen Bewegungen aus meinem Traum herauskatapultiert.

Jetzt aber das lustigste Erlebnis:

Es muss noch im November gewesen sein, noch bevor ich mit Tobias für vier Wochen in die Zivildienstschule nach Bad Oeynhausen abkommandiert wurde, dass ich gebeten wurde, doch mal eines dieser Anti-Dekubitus-Felle aus der Waschmaschine zu holen.

Unsere Patienten hatten alle so Druckstellen vom ewigen auf der gleichen Stelle (im Bett) liegen oder (im Rollstuhl) sitzen. Da gab es dann so Felle, die sollten verhindern, dass es Druckstellen gibt. Ich ging also in den Arbeitsraum, wo die Waschmaschine stand. Durch das Bullauge konnte ich die Felle auch schon sehen. Nur kriegte ich die Maschine nicht auf. Versuchte es ein zweites, ein drittes Mal: wieder nichts.

Da ich allein in diesem Raum war, trat ich auf den Flur und flehte die nächstbeste Schwester um Hilfe an. Das war in diesem Fall Ines: 1,80 groß, Kreuz wie eine eine bulgarische Kugelstoßerin, 80iger Jahre Vokuhila-Frisur, krasse Sprüche, aber eigentlich die netteste von allen damals. Das hab ich da aber noch nicht gewusst: hab sie nur als Kraftprotzin mit Hasenzähnchen wahrgenommen.

Ines erkundigt sich also kurz, worum es geht ("Watt soll ick machen?"), geht dann an mir vorbei und lenkt ihre Schritte zielsicher auf die Waschmaschine. Sammelt kurz ihre Kraft, ist in Gedanken schon beim nächsten Patienten, kann die Kleinigkeit aber nicht umgehend erledigen.
Strengt sich also ein zweites Mal an, diesmal etwas mehr - aber auch diesmal will es ihr nicht gelingen, die Waschmaschine zu öffnen.

Beim dritten Mal legt sie es dann drauf an. Mein geflüstertes "Ich weiß auch nicht, warum das nicht geht" beruhigt sie leider nicht, sondern bringt sie eher noch mehr auf. Sie muss es jetzt professionell angehen, schließlich hat sie einen Ruf zu verlieren: Sie geht frontal vor dem Bullaige etwas in die Hocke, greift mit beiden Händen an die Maschine und konzentriert sich. Sie sieht jetzt ein bißchen aus wie eine Gewichtheber-Frau, die nach zwei Fehlversuchen einen gültigen Versuch landen will.

Sie wippt also etwas in der Hocke, reißt wie eine Irre an der Waschmaschine - und tatsächlich: Sie schafft es tatsächlich, dass sich viele viele Liter Waschmaschinenwasser über ihr schickes Kostüm ergießen. Wortlos, von oben bis unten patschnass, läuft sie an mir vorbei und würdigt mich keines Blickes.

Ich weiß bis heute nicht, ob das Wasser eigentlich warm oder kalt war.

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