Wednesday, August 30, 2006

Heute bin ich mal Andreas Wenderoth


Da ich beschäftigt bin und heute beim Studium der Berliner Zeitung über eine äußerst lesenswerte Geschichte gestolpert bin, drucke ich sie einfach mal hier ab:

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Andreas Wenderoth (Berliner Zeitung, 24.06.2006, Seite M01):
Caipirinhas in Moabit. Single in Zeiten der Weltmeisterschaft. Eine Sommergeschichte.

Am Himmel stehen die Wolken wie dreckige Wattefetzen. Es ist Sonntag, Ronaldo ist zu dick, und auch ich fühle mich nicht besonders. Ich sitze in der Küche meiner Wohnung und habe die Plattenwaschmaschine angeworfen. Das ist ein Gerät, mit dem man sich wenig Freunde macht. Jedenfalls nicht in einem Mietshaus. Stellt euch einfach den lautesten Staubsauger vor, den ihr kennt, und nehmt dieses Geräusch mal drei. Dann wisst ihr in etwa, wie meine
Plattenwaschmaschine klingt. Es gibt Leute, die sind schon wahnsinnig geworden von diesem Geräusch. Aber wahrscheinlich sind Leute, die ihre Platten waschen, sowieso nicht besonders weit davon entfernt.

Manchmal wasche ich stundenlang Platten. Es ist sehr beruhigend, man drückt auf einen Knopf, die Platte wird mit der Reinigungsflüssigkeit benetzt und mit einer Bürste eingestrichen. Gegen den Uhrzeigersinn, dann mit ihm. Dann setze ich die Absaugdüse auf die Scheibe und stelle einen Motor an, der klingt, als würde ein Düsenflugzeug gerade durchstarten. In zwei Minuten ist die Platte gereinigt. Ich wasche jedes Mal mindestens zehn Scheiben. Oft mehr. Meistens am Abend, man kann dann gut einschlafen. Vielleicht hängt das aber auch mit der alkoholischen Reinigungsflüssigkeit zusammen, die mich leicht benebelt.

Heute wasche ich bereits am Tag. Das liegt daran, dass mich Josefine betrügt. Sie trifft sich mit ihm immer am Wochenende. Er kommt mit dem Zug aus Köln-Deutz, und vermutlich verbringen sie die meiste Zeit im Bett. So stelle ich mir das vor. Sie hat eine eigene Wohnung. Wir hätten früher zusammenziehen sollen. Vielleicht wäre es dadurch nicht gerade besser geworden, aber immerhin schwieriger für sie, sich mit anderen Männern zu treffen. Wenigstens müssten sie ein Hotel zahlen. Ich stelle mir vor, dass mir alle Hotels der Stadt gehören. Ich wäre ein reicher Mann. Immer wenn mich meine Freundin betrügt, verdiene ich daran. Aber ich habe keine Hotels. Deshalb wasche ich Platten.

Streng genommen betrügt sie mich auch gar nicht mehr, denn wir haben uns schon lange getrennt. Das heißt, getrennt hat sie sich. Weil sie nicht länger bereit war, ein paar völlig unbedeutende hypochondrische Züge als "im Grunde liebenswert" einzuschätzen. Weil sie es unverständlich fand, dass es mir peinlich ist, Toilettenpapier in der Öffentlichkeit zu kaufen (ich hole es meist von meinen Eltern). Weil sie sich in meinen Hobbys ("Fick doch deine Schallplatten!") nicht wiederfindet und gewisse Vorbehalte gegen meine Freunde hat (als hätte ich die nicht!). Weil sie meinen derzeitigen Job als PR-Berater einer Fettabsaugeklinik nicht geeignet findet, um bei ihren Freundinnen damit anzugeben. Und sie der Meinung ist, man könne mit mir nicht diskutieren. Vor allem nicht über Nietzsche. Nietzsche! Mein Gott, ich weiß nicht einmal, wie man das Eisfach meines Kühlschranks abtaut!

Nicht, dass ihr falsch von mir denkt. Ich bin keineswegs desinteressiert an dem, was um mich herum geschieht. Allerdings lese ich zum Beispiel keine Tageszeitungen. Ich denke, Leute die ein schickes Haus irgendwo am Waldrand haben, sollten Tageszeitungen lesen, damit sie nicht glauben, das Leben in der Welt sei so wie in ihrem Häuschen. Dort wo ich wohne, bin ich der Realität in einer Weise verbunden, dass ich das Korrektiv der Zeitung nicht brauche. Bücher lese ich nur solche, die ich auf Anhieb verstehe. Bei Musils "Mann ohne Eigenschaften" bin ich nur bis zur Hälfte gekommen, bei Pynchons "Enden der Parabel" noch nicht mal, und auch Proust war eine Herausforderung, die ich nicht bestanden habe. Marx habe ich - offen gesagt - nie ganz verstanden, aber das hatten noch nicht einmal die Regierungen, die sich auf ihn beriefen, und das beruhigte mich irgendwie. Ich bin nicht übermäßig helle, andererseits, auf einer Skala zwischen Stephen Hawking und, sagen wir, Beaves and Butthead, würde ich mich eher auf Hawkings Seite ansiedeln, wenn auch knapp.

Zieht man die Gegend, in der ich wohne, und die bösen Briefe meiner Bank einmal ab, ist mein Leben vor allem durch drei Probleme gekennzeichnet: 1. Meine Freundin hat mich verlassen. 2. Ich habe seit Ewigkeiten keine Frau mehr kennen gelernt. 3. Und ich bin Single.

Konfliktverstärkend kommt der Sommer hinzu.

Ich möchte mich gern wieder verlieben, aber das ist gar nicht so einfach. Strategisch betrachtet, wohne ich wahrscheinlich in der falschen Ecke. Nicht in Mitte oder Prenzlauer Berg, sondern in Moabit, falls euch das etwas sagt. Moabit liegt im Feld der internationalen Mode nicht sehr weit vorn. Die Trainingshose ist nach wie vor sehr beliebt, und als jahreszeitenabhängiges Accessoire für den Herrn haben sich Basecap und Bierbüchse etabliert. Die älteren Frauen kleiden sich hier in der Regel nicht ihrem Alter gemäß. Und alle anderen kleiden sich eigentlich gar keinem Alter gemäß. Die älteren Frauen orientieren sich ein wenig an den jüngeren Russinnen, die einen gewissen Kontrapunkt zur muslimischen Kleiderordnung setzen. Die jüngeren muslimischen Männer, die sich auch daran orientieren, wissen aus Videothek und Internet, dass, wer sich so kleidet, "gefickt" werden will. Dies führt hin und wieder zu einigen kulturellen Missverständnissen.

Ich wohne in einer kleinen Nebenstraße südlich der Gotzkowskybrücke, die früher einmal der Übergang in einen Kiez aus Studenten, Künstlern und lustigem Volk war. Heute ist es nicht mehr so lustig. Ein sterbender Arbeiterbezirk, eine Hochburg der Alkoholiker, ein Gemisch aus den traurigsten Türken der Stadt und den fettesten Deutschen. Es ist nicht inspirierend, in die Gesichter der Leute zu schauen. Wer sich den Tag nicht verderben will, schaut lieber an ihnen vorbei. In ihnen sähe er den Teil des Lebens, vor dem er sich fürchtet. Dabei ist meine Wohnung recht schön, groß und hell, und ich kann so laut Musik hören, wie ich will. Trete ich aus meinem Haus, führt mich mein Weg an Bierflaschenscherben, Erbrochenem und Menschen vorbei, die so traurig aussehen, als hätte man gerade ihr Meerschweinchen erwürgt. Das gibt mir das Gefühl, es im Leben nicht allzu schlecht erwischt zu haben.

Manchmal träume ich von den WM-Frauen: Die meisten Spiele sehe ich um die Ecke, im "Schleusenkrug", wo zur Zeit jede Menge gutaussehende Frauen auftauchen, von denen ich (sehr vage) annehme, dass sie im Falle eines Sieges ihrer Mannschaft zu allem bereit sind. Und in der Niederlage sicherlich empfänglich für Trost jeder Art. Es ist sehr heiß, und es wird viel getrunken, und ich habe versucht, einen Verband, den ich zur Zeit trage, einzusetzen, um die Aufmerksamkeit jener Frauen zu erzielen. Das Äußerste, was ich erreichte, waren einige mitleidige Blicke. Weitergehende Aktionen scheiterten, weil:

a) diese Frauen deutlich mehr an jungen Portugiesen oder gutaussehenden Spielern afrikanischer Außenseiterteams interessiert waren,
b) mir der Übergang vom Fußball zu einem allgemeinen Thema, an das man eine Verabredung anknüpfen könnte, nicht gelang.
Gewisse Erfolgssausichten bestanden:
a) bei einer stark kurzsichtigen, arbeitslosen Lehrerin, alleinerziehend mit fünf Kindern,
b) einer Labrador-Mischlingshündin, die auf den Namen Erna hört.

Dabei kann es nicht so schwer sein, sich zu verlieben. Anderen gelingt es doch auch. Man schaut einfach jemandem in die Augen, redet sich ein, dass irgendwo dahinter das Paradies liegen muss und sagt dann möglichst nicht: "Deine Augen sind wie ein tiefer See", denn man muss davon ausgehen, dass dies einer der häufigsten Sätze bei einer aufwallenden Zuneigung ist. Als Türöffner ist er deshalb ungeeignet. Viel besser ist es zu schweigen, noch einmal hinzusehen und dem anderen einfach nur das Gefühl zu geben, er habe Augen, die tief wie ein See sind.

Man kann sich dann mit der Zunge ein wenig über die Lippen fahren und hoffen, dass der andere das irgendwie erotisch findet. Oder sich zumindest nicht an alte Benny-Hill-Filme erinnert fühlt. Oder man versucht, unglaublich wach, sensibel und interessiert zu wirken oder wenigstens witzig zu sein. Das empfiehlt sich eigentlich sowieso. Lacht sie dann nicht, kann man es natürlich lassen und lieber die Nummer mit der Zunge versuchen. Natürlich diskret. Man kann eine ganze Reihe Fehler machen. Im Grunde ist es ziemlich schwer, sich zu verlieben.

Im Falle von Heike war es eigentlich ganz einfach. Sie ist die Nachbarin aus dem Haus schräg gegenüber. Ich sah sie ein paar Jahre lang drüben auf ihrem Balkon eine Zigarette rauchen, traf sie hin und wieder im Supermarkt und steckte es eigentlich ganz gut weg, dass sie nie die geringste Lust zeigte, sich mit mir zu verabreden. Ich drängte ihr zweimal meine Telefonnummer auf und beging auch sonst eine Reihe von taktischen Fehlern, die dazu führten, dass sie mir etwa zwei Jahre konsequent aus dem Weg ging. Im dritten Jahr schlug meine große Stunde. Wir trafen uns auf ein Bier. Dann verreiste sie eine Woche und als sie wiederkam, erzählte ich ihr jede Menge Dinge, mit denen sie leider nichts anfangen konnte. Viel schwerer als sich in eine Frau zu verlieben, ist es nämlich, sie dazu zu bringen, es ebenfalls zu tun.

O.K., ein wenig lag es daran, dass ich zu wenig geschlafen hatte. Ich meine, es hätte natürlich auch so passieren können, sie ist eine attraktive Frau (ihr solltet sie mal auf dem Balkon rauchen sehen!), aber in diesem Sommer war es mit meinen Nerven nicht zum Besten gestellt, und ich konnte etwa 27 Tage nicht schlafen. Einfach so. Normalerweise war ich ein recht ängstlicher Mensch, und bevor ich jemandem mein Herz vor die Füße legte, wartete ich auf deutliche Signale. Dadurch, dass ich nicht geschlafen hatte, deutete ich alle Signale falsch. Ich traf sie zwei- oder dreimal, sie redete viel von ihrem Ex-Freund und wie wenig Zeit sie hätte und dass sie nicht an einer Beziehung interessiert sei. Irgendwie hatte ich das alles überhört. Ich schaute ihr in die braunen Augen, dachte an den See und sagte vorsichtshalber nichts.

Normalerweise wenn ich versuche, eine Frau kennen zu lernen, sagen wir in der U-Bahn, schaue ich eine Weile knallhart auf den Zwischenraum ihrer Brüste. Das muss ziemlich locker geschehen, sonst bekommt man eine geknallt oder den Mittelfinger oder einen jener Blicke, die Frauen drauf haben, wenn ihnen an diesem Tag der 25. Typ unvermittelt auf die Brüste starrt. Im Grunde kommt Brüstestarren eigentlich nicht so gut. Und bei mir schon gar nicht. Viel besser und deutlich unverfänglicher ist es nämlich, über ein ausgelagertes Ereignis Gemeinsamkeit zu erzeugen.Weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Frauen in der U-Bahn wie durch einen Reflex anfangen zu lächeln, sobald sie ein niedliches Kind sehen, warte ich begierig, dass ein Kind dieser Art (sie sind selten, aber es gibt sie) den Waggon betritt, schaue es so an, als würde es einen augenblicklichen Kinderwunsch in mir erzeugen, und plötzlich stellt sich dann ein Augenkontakt mit der Frau gegenüber ein, die natürlich viel besser von einem denkt, der niedlichen Kindern freundliche Blicke zuwirft als dem Zwisc henraum ihrer Brüste. Ich gebe zu, es ist eine inszenierte Nähe, denn ich habe keine besondere Beziehung zu Kindern. Auch birgt diese Methode keinerlei Sicherheiten. Auch ich, der sie bereits häufig angewendet habe, war nie erfolgreich damit. Dennoch bin ich der Meinung, es gibt noch viel schlechtere Methoden.

Zum Beispiel Hinterherlaufen und nichts sagen, wenn sie sich umdreht. Oder so tun, als würde man ein Buch lesen, aber dann immer gucken und wenn sie zurückschaut, gleich wieder ins Buch vertiefen und so feige Sachen. Oder eine SMS schicken, was eigentlich ja nicht sehr romantisch ist, manchmal aber der einzige Weg. Meine Nachbarin habe ich nämlich lange nicht mehr gesehen, und sie geht auch nicht ans Telefon, obwohl ich doch bemerkt habe, dass sie gerade noch auf ihrem Balkon gewesen ist. Wenn eine Frau nicht ans Telefon geht, die gerade auf ihrem Balkon eine geraucht hat, kann das mehrere Ursachen haben: Erstens, sie hat die Wohnung verlassen, zweitens, sie geht gerade einer Tätigkeit nach, mit der das Telefonieren nicht vereinbar ist. Weil es notwendig oder einfach schöner ist als Telefonieren. Oder zumindest schöner als Telefonieren mit mir.

Ich schicke ihr also eine SMS. In blumigen Worten beschreibe ich meine Trauer, dass der Baum zwischen unseren Balkons jetzt so weit zugewachsen ist, dass ich sie kaum noch sehen kann. Es ist, glaube ich, ein sehr kitschiger Text. Ein anderes Mal gebe ich ihr schriftlich einen Gutenachtkuss, was natürlich genauso albern ist, denn sie hatte sich das Küssen und alle Vorstufen des Küssens oder auch nur die Gedanken an irgendwelche Vorstufen verbeten. Und die Aussage, dass man jemanden vermisst, ist auch ein Satz, mit dem man sowieso äußerst sparsam umgehen sollte. In allen Fällen finde ich, dass sie sehr unterkühlt antwortet. Aber wahrscheinlich bin ich bereits in einer Phase, wo ich fast jede ihrer Antworten als unterkühlt einstufen würde. Um das Ausmaß meines Leidens zu illustrieren, sage ich später (zum Glück nicht schriftlich) in einem meiner peinlichsten Momente zu ihr: "Du könntest jetzt alles mit mir machen", was noch ein viel schlimmerer Satz ist, als der mit den Augen und dem See, auch deshalb, weil sie ja gerade nicht alles mit mir machen will.

Eine Woche später steht Heike direkt vor der Tür und lächelt mich an. "Ich dachte, vielleicht frühstücken wir zusammen." Und da gerate ich ein bisschen ins Stottern. "Weißt du", sage ich, "das kommt jetzt wirklich ein bisschen plötzlich.Meine Küche sieht nämlich aus wie eine biologische Waffe, und wenn es stimmt, dass das Auge mitisst, gäbe es zwar die Möglichkeit, dass du die Augen einfach schließt, aber so richtig nett ist das dann vielleicht auch nicht, und du könntest dich auch verletzen, es liegen überall so scharfkantige Dinge herum, und wenn du zwischendurch einmal auf die Toilette musst, ich meine, es kann ja passieren, dann wäre das sozusagen, natürlich auch ein Einblick in die Welt eines Junggesellen, aber ob du darauf wirklich ."

"Okay, lass uns woanders hingehen."

"Im Schlafzimmer sieht es noch relativ am besten aus, und wenn es dich nicht stört ." Ich rede mich gerade um Kopf und Kragen, und schlimmer noch, ich habe die Tür bereits geöffnet, und so sieht sie die Salzlampe, die mir meine Mutter geschenkt hat, den TCM-Schlafanzug (braun mit grünen Streifen von Tchibo), die für einige Frauen vermutlich gewöhnungsbedürftigen Adiletten, die vor dem Bett stehen, und den Wandspiegel dahinter, den ich dort platziert habe - in Erwartung eines sexuellen Ereignisses, das nie stattfinden würde. "Ja", sage ich, weil ich ihren ironischen Blick aufgefangen habe, "wir können ihn selbstverständlich auch wegnehmen, ich meine beim Frühstück muss man sich ja nicht selbst sehen, oder ..., und wenn wir dann gegessen haben, können wir ihn ja auch wieder hinstellen, ich meine, wenn du willst ."

"Hör mal, ich möchte nichts von dir, daran hat sich überhaupt nichts geändert, ich wollte nur ."

"Aber warum denn nicht?", sage ich.

Seit Jahren sind jetzt Operationen am offenen Herzen möglich, man kann mit großer Sicherheit vorhersagen, wann welcher Planet in welcher Umlaufbahn erscheinen und wem er dort begegnen wird. Man hat den DNA-Code entschlüsselt und Sebastian Deislers Depressionen in nur sechs Wochen geheilt. Aber die Stimmung einer Frau zu deuten ist auch zwei Jahrtausende nach Christus immer noch eine recht heikle Angelegenheit.

"Das hab ich dir schon mal gesagt. Nun nerv doch nicht . aber wo du gerade dabei bist, könntest du mir den Rest der Wohnung auch noch zeigen."

Ich zeige ihr also das riesige Stahlrohr, das in meinem Wohnzimmer direkt durch den Schreibtisch verläuft. Die Konstruktion ist eigentlich so gedacht, dass die Schreibtischplatte schwebend erscheinen soll. Das ist jedenfalls die Idee. Nun allerdings steht der Schreibtisch so voll, dass man ihn nicht auf Anhieb als Schreibtisch identifizieren kann. Außerdem ist mein Computer nicht gerade das neueste Modell (waren die 60er-Jahre nicht wieder in Mode?) und beansprucht mehr Platz, als vorhanden ist. Den Fernseher direkt unter den Schreibtisch zu stellen, ist natürlich mehr eine Verlegenheitslösung gewesen. Und um den Fernseher herum stehen auch einige Dinge (ein kaputtes Fahrrad sowie zwölf Plattenstapel à 400 Stück, ungewaschen), die es

a) verhindern, dass ich fernsehen kann.
b) den Zugang zu meinem Schreibtisch nahezu unmöglich machen.

Im Grunde schwebt also gar nichts mehr.

"Tolles Stahlrohr", sagt Heike, "hat so was Modernes." Den letzten Teil des Satzes hätte auch meine Mutter sagen können.

"Findest du auch, dass es irgendwie . schwebt?", frage ich.

"Na ja ." Sie zuckt mit den Achseln.

Geschmack ist wirklich nichts, worüber man sich streiten müsste. Ich bilde mir auch nichts auf meinen eigenen Geschmack ein (ich habe keinen besonderen). Wenn ich von irgendetwas glaube, genau dies sei mein Geschmack, muss ich einfach kurz innehalten, ein wenig nachdenken, und schon wird mir klar: Es handelt sich um den Geschmack irgendeiner Exfreundin.
Unter gewissen Umständen (das gilt vor allem für meine jetzige Lage) kann es durchaus Sinn machen, sich mit Frauen zu treffen, die, sagen wir,

a) goldene Fußkettchen tragen oder
b) Italo Svevo für eine italienische Eisdiele halten.

Keinerlei Sinn macht es vermutlich mit solchen, die
a) ihr Handy mit der Bach-Toccata in F-Dur klingeln lassen,
b) so lachten, als würde man gerade eine Trompete zersägen.

Heike hat ein schönes Lachen. Als sie meinen Plattenspieler sieht, fragt sie, ob ich den selbst gebaut habe, was mich selbstverständlich ein wenig beleidigt. Und dann fangen wir, weil es sich ja irgendwie anbietet, natürlich an, über Musik zu reden. Vielleicht ist das ein Fehler. Sie hört nämlich überwiegend Techno, und der Graben, der sich da zwischen uns auftut, ist einfach zu groß, um eben so mal drüber zu springen. Ich meine, immer noch besser, als würde sie unglaublich auf Status Quo abfahren, und angesichts meiner sexuell eher unerfreulichen Lage bin ich durchaus zu einigen recht weitgehenden Kompromissen bereit.

Ich verstehe sehr wenig von Techno. Einmal, vor vielen Jahren, fand ich einen Song sehr lustig, der die Titel-Melodie von "Das Boot" in einer Technoversion coverte. Mein Freund Sebastian hat mir bereits damals gesagt, dies sei nun gerade ein Beispiel für schlechten Techno. Schlechter Techno, so habe ich es verstanden, ist immer das, was alle hören. Guter Techno ist jeweils immer nur so wenigen bekannt, dass jemand, der keinen Zugang zu diesem kleinen Kreis der Techno-Avantgarde hat, nie erfahren wird, was guter Techno ist. Das ist ein bisschen ungerecht.
Dass ich nie Zugang zu dieser Musik hatte, liegt zum einen an einer neuen Generation von Drogen, die einer wie ich, der allenfalls mal einige Grünpflanzen in den Tabak gehackt hat, nicht mehr begreift. Angeblich kann man die Musik nur mit diesen kleinen bunten Pillen in einem tieferen Sinne verstehen: "Du solltest einmal sehen, was 196 BPM (Beats per minute) mit deiner Bauchdecke machen", hatte Sebastian gesagt. Nun will ich nicht unbedingt, dass irgendjemand mit meiner Bauchdecke etwas macht, geschweige denn irgendetwas.

Es gibt für mich noch einen anderen Grund gegen jene Art der Musik. Er schmückt mich nicht, aber ich nenne ihn trotzdem: Der wahre Grund ist, dass ich mich nie entscheiden konnte, ein Mann des Nachtlebens zu werden. Ich gehöre zu jenen Menschen, die gegen Mitternacht müde werden, und dies auch nicht als beunruhigend empfinden. Wenn ich dennoch, gegen meine Gewohnheit, einmal spät in einer Bar hänge, kommen immer diese Menschen herein, die so wirken, als seien sie gerade erst aufgestanden, als hätten sie den ganzen Tag auf diesen Moment hingelebt. Sie sehen meist irgendwie aus wie David Beckham, finden es cool, 17 Caipirinhas zu trinken, und tragen in ihrem Blick stets die Erwartung großer sexueller Erlebnisse. Auch ich habe diese Erwartung, bin aber stets bemüht, sie aus meinem Blick herauszuhalten. Außerdem habe ich nie als Folge eines Barbesuches auch nur irgendwelche sexuellen Erlebnisse gehabt. Jedenfalls keine erwähnenswerten.

Mit neuerer Musik tue ich mich schwer, denn man kann verdammt viele Fehler damit machen. Und Fehler habe ich wirklich genug gemacht. Allerdings erinnere ich mich, dass Sebastian einmal sagte, wenn ich ein Mädchen beeindrucken wolle, solle ich einfach Ryan Adams ins Spiel bringen (keinesfalls Bryan Adams!). Der Rest ergebe sich dann praktisch von selbst. Ich lege also die einzige Ryan-Adams-Scheibe auf, die ich besitze ("cold roses") und warte auf irgendeine (wohlwollende?) Reaktion. "Na, das ist, glaub ich, nicht so mein Ding", sagt Heike.

Danach haben wir uns nicht mehr gesehen.

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