Thursday, September 27, 2007

Das verräterische Hemd

An einem einkalten Novembernachmittag besuchte unsere FDJ-Gruppe das Museum für deutsche Geschichte. Es ging um Antifaschismus, wenn ich mich recht erinnere, und als wir rauskamen, war es kalt und dunkel. Ich war ziemlich in Eile, weil ich am Abend die Jugendstunde meiner Gemeinde nicht verpassen wollte. (...)
Ich lief auf die Gruppe zu, und als ich etwa fünf Meter von ihr entfernt war, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. (...) Ich hatte noch mein FDJ-Hemd an. Sein blauer Kragen ragte gut sichtbar aus meiner Winterjacke. Es war ein einmaliges, verräterisches Blau. Nirgendwo sonst gab es dieses Blau der Freien Deutschen Jugend. Verwechslungen waren ausgeschlossen. Die bis dahin fürchterlichste Stunde meines Lebens begann. (...) Es lag an der Kraft des Symbols. Ähnlich provokativ wäre es wohl gewesen, in der Parteiversammlung mit dem Rosenkranz zu klimpern.

Eines war klar, ausziehen konnte ich die Jacke nicht. Die Sonne wäre aufgegangen, die helle optimistische Sonne des Jugendverbandes, die auf meinem Hemdsärmel klebte, die Sonne der Kampfreserve der Partei, die Sonne der Freien Deutschen Jugend mitten im Herzen der St.-Josephs-Gemeinde. (...) Der Kragen, der blaue Verräterkragen, der Judas-Kragen, leuchtete. Er brannte auf der Haut, er schnürte mir den Hals zu. Ich flüchtete in Fieberträume. (...)

Ich hatte meine Chance gehabt, ich dachte nicht über sie nach, ich rannte weg. Ich ging nie wieder zu einer Beichte, aber meine Mutter bezahlte meine Kirchensteuer, und auch vor der Prüfung in dialektischem und historischem Materialismus bat ich um Gottes Hilfe. Und natürlich vor der Russischprüfung.

Alexander Osang: Eigentlich nein. In: ders, Das Buch der Versuchungen. Berlin 1997. S. 11-30. hier S. 17ff.

Wednesday, September 26, 2007

Wohin fliegst du, mein junger Freund?


Am Wochenende war ich beim Drachenflug-Festival im BUGA-Park, wo wir nebenher ein wenig Ultimate Frisbee zockten. Die Mannschaften wurden gelost, wir wurden am Ende vierte, da wir das letzte Spiel verloren. Sonst hätten wir im Finale gestanden.

Im Finale dann, das auf elf Punkte gespielt wurde, gab es beim Stand von 10:2 eine lustige Szene, als die Scheibe nicht in die Endzone, sondern ganz klar links heraustreibt. Damit wollte sich ein Spieler aber nicht zufriedengeben und setzte der Scheibe nach. Erst verließ er den Rasen, dann näherte er sich der Bank, dann überhüpfte er die Bank, da diese aber von einer Steinwand gefolgt wurde, hopste er also direkt in die Mauer und hielt sich an ihr fest.

Kann man schon mal machen, wenn man knapp führt, aber nicht bei 10:2. Auch war die Begründung lustig: "Ich wollte die Scheibe wie beim Volleyball zurück ins Feld bringen." Nur dazu hätte der gute Mann springen müssen und Flügel haben wie Batman. Naja, zumindest ist ihm nichts passiert und den elften Punkt gab´s dann auch erst im nächsten Spielzug.

Friday, September 21, 2007

Weshalb ich nach Bulgarien wollte

Der Buddhist verschloss sich nicht. Wir redeten lange, verabschiedeten uns, redeten erneut, so vergingen drei Tage. Dann hockte ich mit dem Mönch auf einer Matte. Die Dolmetscherin erdigte draußen ein paar Dinge. Der Mönch nippte vom Tee. Er schwieg. Er sprach kein Englisch. Ich nippte und schwieg auch. Aber es war keine verlegene oder peinliche Stille, wie sie manchmal eintritt, wenn Menschen nicht mehr weiter wissen. Bald eine halbe Stunde saßen wir reglos, wortlos. Ich fühlte eine seltsame Übereinstimmung mit dem immer noch Fremden, etwas Schwereloses.

Ich ließ mich treiben, weiter und weiter weg von den Kleinigkeiten, aus denen die Welt zusammengesetzt ist, hinein ins absolut gleichmäßige Atmen, in die perfekte Ruhe, in völlige Ausgeglichenheit. Es waren glückliche Momente, die lassen sich nicht ergründen. Sie erreichen dich, wenn du es nicht erwartest, vorzugsweise dann. Und versuchst du, sie festzuhalten, so schwirren sie davon.

Birk Meinhardt: Die Kantine. in: Ders., Die seltsamen Wege zum Glück. Berlin 2002. S. 9-17. hier S. 10.

Thursday, September 20, 2007

Die kaputten sind unter uns

Als ich mich letzten Donnerstag nachmittags mal ganz entspannt im Mauerpark niederlassen wollte, um ein wenig zu lesen, kam dieser Jüngling auf mich zu.
Fragte mich, ob ich ein wenig mit ihm "spielen" wolle. Dann holte er zwei Holzschwerter hervor, erzählte mir von irgendwelchen Rollenspielen in Rendsburg und dann haben wir gespielt. Er war erst ein Ork, dann eine Elfenkönigin, und immer haben wir gekämpft. Also er hat gesagt, was wir machen, gab den Text vor und dann ließ ich es geschehen.
Ich wollte ihn eigentlich ordentlich verprügeln, weil er keine GEZ zahlte, aber das war ihm nicht phantasievoll genug. Da hab ich dann meinen Lesewunsch lautstark artikuliert und er hat sich an den nächsten Passanten gewandt.

Der Typ hatte echt n Sockenschuss. Nur kaputte unterwegs.

Nur ein Bild


Berlin lacht - nur Bärbel friert


Vor einigen Wochen saß ich entspannt im Publikum, um der Show des Herrn Hundertpfund in der Kulturbrauerei zu folgen. Das war genau so lange entspannend und komisch, bis ich direkt als Bärbel an der Show teilnehmen sollte. Wo ich dann halbnackt in der Kälte stand. Weil hier.
Wärmer wurde mir auch bei Village People nicht.

Monday, September 17, 2007

Der Ossi von Welt


Ein Junge humpelt auf einer Straße in Ueckermünde, er ist vielleicht achtzehn Jahre alt. Ganz blass, ganz dünn. Thor-Steinar-Shirt. Er zieht hörbar am Stummel seiner Zigarette. Ein Hosenbein hat er hochgekrempelt, der Unterschenkel ist in durchsichtige Folien eingewickelt. Er weint fast, und ich frage, was passiert ist. Er zeigt seine rechte Wade: frisch und farbig durchtätowiert. Er sagt, dass es noch sehr wehtut, und ich sage, dass es schön bunt aussieht. Jetzt freut er sich, sagt: "Sechzehn Euro!", humpelt weiter. Die beiden jungen Frauen vom Second-Hand-Laden lachen: "So sind hier viele. Saufen, kiffen und Hartz IV. Männer um die zwanzig - oh oh oh! Würden Sie so einen haben wollen? Wir nicht."


Regine Sylvester, Männer allein zu Haus, in: Berliner Zeitung, 15,/16.09, Magazin S.1

Friday, September 14, 2007

Brief an Maria 3

M, klein, untersetzt, ohne nennenswertes Einkommen, dafür aber mit Aknenarben, die an das Sternbild des Kleinen Bären erinnern, sucht wunderschöne Frau, die seine Sozialwohnung mit ihm teilt.

A.J. Jacobs: Britannica & ich, Berlin 2006, S. 63.

Noch ein schöner Buchanfang


Im September 1998 stürzte ein Mann frühmorgens vornüber aus einer im Souterrain gelegenen Kreuzberger Kneipe in eine Pfütze brackigen Regenwassers und fühlte sich nun bereit für einen abschließenden Döner.

Frank Goosen: Liegen lernen, FFM 2000

Hähne-Wettkrähen


Hähne-Wettkrähen

Teterow. Der Rassegeflügelzuchtverein Teterow und Umgebung e.V. lädt für den 17. Mai 2007 zwischen 9.45 Uhr und 11.30 Uhr zum Hähnewettkrähen ein. Der Wettbewerb, an dem auch Gockel aus Bad Segeberg und von anderen befreundeten Vereinen teilnehmen werden, findet in der Kleingartenanlage "Oststadt" (Richtung Teschow) statt. Der eifrigste Hahn wird belohnt. Besucher und Zuhörer sind beim Wettstreit herzlich willkommen.

AK. Der Anzeigenkurier. Demmin Malchin Teterow. 10. Mai 2007, S.1

Tuesday, September 11, 2007

Einer der schönsten ersten deutschen Sätze


Eines Nachts ward ein alter Künstler durch die Stimulatio eines in ungehöriger Menge genossenen Eierlikörs derart in experimentellen Wagemut versetzt, daß er mit einz fest entschlossen und mit einer für ihn längst ungewöhnlich gewordenen, also außerordentlichen Zielstrebigkeit seinen Lieblingspinsel zog, mit diesem behende aufs Klo eilte, das dort in einem oilettenschränkchen verborgene Haarwuchsmittel griff, noch während des Weges zum Arbeitstische denselben in dasselbe Fläschchen eintunkte, um dort angelangt, geschwind aber doch mit großer innerer Sicherheit eine Glatze aufs Blatt zu tuschen.


Thomas Kapielski, Einfaltspinsel=Ausfallspinsel, Berlin 1986

Saturday, September 08, 2007

Auch der kleine Araber verpisst sich

Wie, und der kleine Araber, der immer nur nachts kommt, ist gar nicht der Putzmann, sondern Kuttner?!

Magdalena Bienert: Chaos statt Kaffeekochen. In: An. Laut. Stark. Fritz - das Buch zum Radio., (Hrsg. Galenza/Topp/Meinhold), Berlin 2003. S. 75-78. hier S. 75.

Gestern wurde auf der Medienseite des Berliner Tagesspiegels vermeldet , dass Dr. Jürgen Kuttner demnächst zu Radio1 wechselt, um dort mit seiner vorlauten Tochter ne neue Sendung zu moderieren. Also kein Sprechfunk mehr. Davor hatte er sich schon in Richtung Netzzeitung verabschiedet, was mir komplett entgangen war.
Nach den schmerzlichen Abgängen der Herren und Damen Hallaschka, Böttcher, Wieprecht, Skuppin und Caspary wechselt also mal wieder einer der besseren Radiomacher zum Radio für Erwachsene. Oder wie es der Kollege Volker Wieprecht einst formulierte:

Fritz ist ein echter Fisch, also vom Sternzeichen her. Unglaublich facettenreich, kunterbunt, unglaublich viele Interessen, sehr viele Neigungen, keine Prioritäten, querbeet und trotzdem schillernd. Für ein Jugendradio erstaunlich intelligent und tief. Aber dieser sich ständig drehende bunte Ball wird für Leute, die älter werden, irgendwann zu anstrengend. Man braucht dann noch mal eine klare Ausrichtung, um sich zu vertiefen.

Volli und Robi rechnen ab. In: An. Laut. Stark. Fritz - das Buch zum Radio., (Hrsg. Galenza/Topp/Meinhold), Berlin 2003. S. 34-41. hier S. 41.

Wednesday, September 05, 2007

Das Leben der Anderen


Lieber Christian Kortmann,

Jahrgang 1974, Studium der Kulturwissenschaften in Hildesheim und Bologna, vergangenes Jahr Dissertation eingereicht. Mehr weiß ich nicht über sie.

Ich wollte mich aber auf diesem Weg ganz herzlich für ihre Kolumne Das Leben der Anderen bedanken. So viele witzige Clips, die sie da aus dem Netz gefischt haben. Egal, ob die fliegende Oma, der chinesische Akrobat, der übers Ziel hiausfliegende Turner, die Frau, der keine Lücke zu klein für ihr kleines Auto scheint oder der Handarbeiter.

Ich habe jedes Mal herzlich gelacht. Vielen Dank dafür.

Brief an Maria 2


I can see why you want to marry her. But have you asked yourself why she wants to marry? Tak Tak. Yes, yes. I know. Passport. Visa. Work permit. So vat?

Marina Lewycka, A short history of Tractors in Ukrainian, London 2005, S. 3

Tuesday, September 04, 2007

Brief an Maria 1


liebe maria,
ich möchte offen und ehrlich ehrlich auf deinen Brief antworten. Ich weiß nicht, ob ich der gute und sexuelle Mann bin, aber Aufrichtigkeit ist mir sehr wichtig. Das wollte ich mal ganz am Anfang betonen, nicht dass wir hier aneinander vorbei reden.

Da du dich in aller Kürze vorgestellt hast, möchte ich es Dir gleich tun: Ich bin genau zwei Wochen älter als du und lebe in der größten deutschen Stadt, Berlin, der Hauptstadt, dem Spree-Athen, wie wir es scherzhaft nennen. Ich wohne dort ganz allein in einer kleinen, kalten und ungemütlichen Wohnung am Rande Berlins, wo sich Hase und Igel noch nicht einmal zu Gesicht bekommen, um sich Gute Nacht zu sagen. Erst in ein paar Jahren werden auch meine Eltern ihren Rentenanspruch geltend machen können: mein Vater ist Förster, meine Mutter treibt das Geld für ihre türkischen Freunde ein.

Ich studiere und versuche deshalb immer wieder, einen Nebenjob zu ergattern; aber entweder bin ich zu klein oder die Arbeit ist zu schwer oder ich stelle mich zu dumm an, weswegen du wohl für´s Geldverdienen zuständig sein wirst.

Ich suche eine Frau, die auch mal mit anpackt und gut kochen kann. Ein Visum brauche ich nicht, aber mein Personalausweis läuft demnächst wieder mal aus. Ich finde, man kann auch ohne Personalausweis glücklich sein. Finden meine Freunde nicht, aber die sind auch sehr materiell eingestellt... Generell finde ich, dass Personalausweise auch überschätzt werden! Was denkst du?

Wollen wir uns vielleicht mal treffen? Ein Visum hast du ja, ich kann dich ja am Flughafen abholen. Ich werde ein gelbes Mützchen tragen und meine Sonntagssachen anziehen. Wir sehen uns!

dein svennie

Gummistiefel, flieg!

Am letzten Tag des Workcamps veranstalteten wir eine Art Bauernolympiade. Mir ist es dabei als einzigem gelungen, den Gummistiefel ebenso hoch wie negativ weit zu kicken. Er kam weit hinter(!) mir auf, und ich durfte nochmal...

E-Mail an mich


Da bei uns noch immer lustig die Post aus dem Briefkasten gemopst wird, habe ich mich sehr über diesen elektronischen Brief gefreut:
Hallo!!! Verwundere sich uber meinen Brief bitte nicht. Ich sah dein Profil auf "Friendscout24" oder "Singles.freenet." Ich wollte uber dich mehr erfahren. Und ich wollte dir den Brief schreiben. Ich denke daran dass du der gute und sexuelle Mann. (...)
Ich werde uber mich mehr erzahlen. Ich die gewohnliche Frau. Mir 30 Jahre. Meinen Geburtstag den 15.01.1977. Ich lebe in Stadt Sankt-Petersburg. Es ist eine zweite Stadt in Russland. (...). Ich lebe zusammen mit den Eltern. Wir leben in der kleinen und gemutlichen Wohnung. Meine Mutti auf der staatlichen Rente. Meinen arbeitet der Vater auf der Reparatur der Eisenbahnzuge. Es ist ein guter und friedlicher Beruf. Ich die einzige Tochter bei den Eltern. Ich habe den Bruder oder die Schwester nicht. (...)

Ich arbeite in die Transportgesellschaft. (...). Mir gefallt meine Arbeit. Aber leider bei mir das kleine Gehalt. Aber das Geld ist haupt-fur mich nicht. Fur mich das Wesentliche die Liebe und das Gluck. Ich will aufrichtig mit dir in seinen Briefen sein. Ich habe die Geheimnisse vor dir nicht. (...) Leider, ist vieles im Internet Betrug. Ich las daruber in der Zeitung. Es ist traurig. Ich werde aufrichtig mit dir und ich bitte dich, ehrlich auch zu sein. (...) Keine Spiele. Nur die ernsten Beziehungen. (...)

Meine Freundin beratete mir, nach dem Mann in Deutschland zu suchen. Wir sind von der Kindheit befreundet. Wir lernten in einer Schule. (...) Sie hat seine Liebe im Internet gefunden. (...). Sie hat den deutschen Mann verheiratet. Sie sehr glucklich jetzt. Sie haben seine Firma. Das grosse Geld und das Business. (...) Ich kann in Deutschland zu jeder Zeit ankommen. Ich habe das Visum. Der Mann meiner Freundin half, mein Visum zu machen.

Welcher den Mann suche ich? Ich suche der gute und gute Mann. Der mich liebgewinnen kann. Und ich werde diesen Mann liebgewinnen. Moglich es du? Ich werde seinen Mann glucklichst in der Welt machen. (...) Nach welcher Frau suchst du? Welcher deinTraum? Jetzt ich vollkommen einsam. Ich habe etwas Freundinen. Aber ich habe den nahen Menschen nicht. (...) Ich versuchte, nach dem Mann in seinem Land zu suchen. Aber alle Manner wollen nur die Unterhaltung. (...) Ich werde deinen Brief warten. Dein Brief wird mich glucklich machen.

Versprich, zu antworten! Ich werde deinen Brief warten. Ich bin obligatorisch werde antworten. Ich werde dir das Foto schicken und ich werde uber mich mehr erzahlen. Ich werde seine Post oft prufen. Ich habe dir den Brief aus dem Internet -Cafe geschrieben. Ich gehe im Internet-Cafe selten. Meistens benutze ich das Internet in der offentlichen Bibliothek. Ich habe dir den Brief von anderem Briefkasten geschrieben. Schreibe mir die Antwort auf meinen personlich e-mail. Meinen personlich e-mail: mar30y@yahoo.com; Kuss... Deine Maria