Das verräterische Hemd
An einem einkalten Novembernachmittag besuchte unsere FDJ-Gruppe das Museum für deutsche Geschichte. Es ging um Antifaschismus, wenn ich mich recht erinnere, und als wir rauskamen, war es kalt und dunkel. Ich war ziemlich in Eile, weil ich am Abend die Jugendstunde meiner Gemeinde nicht verpassen wollte. (...)
Ich lief auf die Gruppe zu, und als ich etwa fünf Meter von ihr entfernt war, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. (...) Ich hatte noch mein FDJ-Hemd an. Sein blauer Kragen ragte gut sichtbar aus meiner Winterjacke. Es war ein einmaliges, verräterisches Blau. Nirgendwo sonst gab es dieses Blau der Freien Deutschen Jugend. Verwechslungen waren ausgeschlossen. Die bis dahin fürchterlichste Stunde meines Lebens begann. (...) Es lag an der Kraft des Symbols. Ähnlich provokativ wäre es wohl gewesen, in der Parteiversammlung mit dem Rosenkranz zu klimpern.
Eines war klar, ausziehen konnte ich die Jacke nicht. Die Sonne wäre aufgegangen, die helle optimistische Sonne des Jugendverbandes, die auf meinem Hemdsärmel klebte, die Sonne der Kampfreserve der Partei, die Sonne der Freien Deutschen Jugend mitten im Herzen der St.-Josephs-Gemeinde. (...) Der Kragen, der blaue Verräterkragen, der Judas-Kragen, leuchtete. Er brannte auf der Haut, er schnürte mir den Hals zu. Ich flüchtete in Fieberträume. (...)
Ich hatte meine Chance gehabt, ich dachte nicht über sie nach, ich rannte weg. Ich ging nie wieder zu einer Beichte, aber meine Mutter bezahlte meine Kirchensteuer, und auch vor der Prüfung in dialektischem und historischem Materialismus bat ich um Gottes Hilfe. Und natürlich vor der Russischprüfung.
Alexander Osang: Eigentlich nein. In: ders, Das Buch der Versuchungen. Berlin 1997. S. 11-30. hier S. 17ff.












Am letzten Tag des Workcamps veranstalteten wir eine Art Bauernolympiade. Mir ist es dabei als einzigem gelungen, den Gummistiefel ebenso hoch wie negativ weit zu kicken. Er kam weit hinter(!) mir auf, und ich durfte nochmal...


