Volkszählung

Langsam glaube ich an gar nichts mehr.
Ich komme mir ein bißchen vor wie Jim Carrey in der Truman-Show, der erst mit dem Moment des zu Boden gegangenen Scheinwerfers ahnt, dass er Teil einer anderen Welt ist.
Kann ich mir so erklären, dass sich viele meiner Freunde seit ewigen Zeiten nicht mehr bei mir gemeldet haben? Muss ich davon ausgehen, mein Projekt als gescheitert zu betrachten? Muss ich demnächst mit jedem Eintrag auch den kleinen nordkoreanischen Jimmi begrüßen? Macht es sich die Community vor´m Rechner bequem uns schmult uns Nutzern mal eben auf den Schirm?
Das allein wäre wohl nicht so schlimm, denn schließlich dient das Internet ja auch der Kommunikation. Aber ich will doch zu einem gewissen Grad selbst steuern, wer Sachen lesen darf und wer nicht. Wer an meinem Leben teilhaben darf und wer nicht.
Herr Eppelsheimer, habe ich ihnen nicht gesagt, dass sie den Grammatikkurs bei Frau Hermann besuchen, weil sie sonst wieder Probleme haben werden, die Prüfung zu bestehen? Und dass sie diesmal ein ganzes Semester durchhalten, und nicht auf halber Strecke schlappmachen und sich stattdessen in der Videothek mit den italienischen Erasmus-Studentinnen anfreunden?
Herr Deth, mein allseits geschätzter Russisch-Pauker, den seine russischen Freunde Rudi nennen dürfen, weil ihnen Rüdiger zu schwer ist.
Spatz, meinst du, wir finanzieren dein Studium, arbeiten uns den Rücken krumm, fahren seit sechs Jahren immer in den selben Urlaubsort, nur dass Du Dein Studium einfach nicht ernst nimmst und jetzt, wo du doch bald 30 bist, immer noch nicht fertig bist, und dich mit Gedanken trägst, von denen Du denkst, dass wir davon noch nichts wissen?
meine beiden Eltern, die denken, ich wär ne Leuchte an der Uni und hätte alles checkermäßig im Griff
Junger Mann, natürlich beobachten wir sie immer, wenn sie frühmorgens den Laden betreten, immer die Sportzeitungen zuerst lesen, dann die Tageszeitungen durchblättern, sich ab und zu etwas notieren, um dann doch nichts zu kaufen, und dann um viertel vor neun eiligen Schrittes ihre Bahn in Richtung Potsdamer Platz zu nehmen
die freundliche Verkäuferin im Ludwigs-Presseshop am S-Bahnhof Friedrichstraße, die ab und zu kritisch ihre blätternden Kundinnen abscannt
Vielleicht wäre es wirklich einfacher, wenn die Leute, die hier lesen, kurz Hallo sagen. Ist auch für mich einfacher: Dann weiß ich, wem ich was vom Pferd erzählen kann und wer informiert ist.


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